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Welttag der Kranken . Journée mondiale du malade  
10. Februar 2021

Welttag der Kranken (11.2.2021)

Das Vertrauensverhältnis als Grundlage der Sorge um Kranke

Wir haben deshalb einen langjährigen Mitarbeiter der Krankenpastoral der Diözese gebeten, seinen Berufsalltag zu beschreiben. (Alle Namen wurden aus Datenschutzgründen verändert.)
Michael Kunze ist pastoraler Mitarbeiter in der Pfarrei Esch-Uelzecht Sainte-Famille mit Schwerpunkt der Krankenhausseelsorge im CHEM in Esch/Alzette.

Photo: Tim Marshall on Unsplash

Ein Tag im Centre Hospitalier Emile Mayrisch in Esch / Alzette (Luxemburg)

Dienstag, 11. Januar
10:00 Uhr Ankunft
Auf dem Weg durch das Krankenhaus zu meinem Büro in der 5. Etage begegne ich in Höhe der Raucherecke eine Patientin aus der Psychiatrie. Sie spricht mich an und fragt mich, ob ich Frau R. besuchen könnte: „Sie verlangt nach Ihnen.“ Ich frage sie, woher sie Frau R. kennt und wie sie an den „Auftrag“ für mich gekommen ist. Und dann erkundige ich mich nach ihr, wie es ihr im Moment geht, warum sie in der Psychiatrie ist.
Auf dem Flur im Mantel und mit dem Rucksack in der Hand ist das nicht der richtige Ort, um ein Gespräch weiter zu führen und so biete ich ihr an, dass wir uns später noch einmal treffen können, wenn sie es möchte. Ich will aber ihr die Initiative überlassen, damit sie sich nicht verpflichtet fühlt.
Frau R. war mehrere Wochen auf der Palliativstation. Sie hat mehrere Tumore im Gehirn und ist halbseitig gelähmt. Sie ist pensionierte Lehrerin und kennt halb Esch. Mit Religion und Kirche habe sie nichts am Hut, aber mit mir würde sie gerne reden, ich sei ihr spezieller Freund. Ihre Familie ist mit der Familie von Dr. M. eng befreundet und daher kommt es, dass sie auf die Palliativstation kam.
Sie sei immer so lebenslustig und reisefreudig gewesen und sie wolle nun nicht mehr leben. Sie fragt nach der Euthanasie. Ihr Mann und ihr Sohn mit Familie kümmern sich rührend um sie und so wurde Ihre Situation stabil. Sie kam schließlich in ein Pflegeheim in der Nachbarstadt und vor Weihnachten hatte ich sie schon einmal dort besucht.
Im Büro mache ich mir erst einmal einen Kaffee, höre den AB ab und schaue nach der Post.
Hinunter auf die 2. Etage des Nebengebäudes zur Kapelle. Es ist alles ok, die Heizung und ein einladendes Dämmerlicht sind an – die Putzfrauen machen beides abends oft aus -, die Blumen brauchen frisches Wasser. An die Tür hänge ich den Hinweis auf die abendliche Eucharistiefeier.
Im Buch für die Patienten gibt es einen neuen Eintrag:

Ich muß an Heidelberg denken und den Besuch in der Prinzhorn-Ausstellung... ich spreche ein Gebet für die unbekannte Person.
Die Hinweisschilder für die abendliche Eucharistiefeier bringe ich dann zu den 3 Stationen der Psychiatrie und zur Palliativstation.

Es ist kurz nach 11:00 Uhr.
In der Palliativstation treffe ich die Infirmières in der Pause. Ich höre die neuesten Entwicklungen der Patienten. Das „Sorgenkind“ ist Frau L.
L. heißt eigentlich ganz anders, aber ihr usbekischer Nachname ist unaussprechlich. Sie hat einen sich ausbreitenden Gehirntumor, kann sich aber sehr gut mitteilen und spricht 3 Sprachen ohne Probleme. Sie hat immer sehr viel Besuch, auch Leute, die mit ihr meditieren. Sie ist islamischen Glaubens, aber auf ihrem Tisch liegen neben einer sich immer mehr füllenden Obstschale – sie scheint Obst zu sammeln -, esoterische Bücher über Engel, Kosmische Ereignisse etc. Sie spricht immer gerne mit mir.
Das größte Problem ist aber die erwachsene Tochter, die ohne ihre Mutter nicht leben kann, und wohl auch umgekehrt. Die symbiotische Beziehung steigerte sich hin zur psychischen Krankheit der Tochter. Der Psychiater wurde zu Hilfe gerufen und auch die Sozialarbeiterin.
Auf der Palliativstation entstehen unzumutbare Situationen, als die Tochter 2 oder 3 mal morgens betrunken im Bett neben der Mutter vorgefunden wird. Letztendlich nahm der Schwager von L. die Tochter für ein paar Wochen mit ins Heimatland.
Über Skype wurden täglich stundenlange Telefonate geführt. L. ist fix und fertig und wird immer agressiver gegenüber dem Personal und anderen Patienten und deren Familien. Die Situation ist für alle Beteiligten angespannt.
Eine Infirmière bittet mich zu L. zu gehen, sie habe nach mir gefragt. Sie möchte mit mir in ihre Wohnung fahren, um dort ein paar Dinge zu erledigen. Ich sage ihr zu, wenn Dr. M. einverstanden ist.
Dieser ist froh, dass ich mit ihr fahre und bedankt sich bei mir. Ich verabrede mich mit L. für 13:30 Uhr.

Es ist 11:30 Uhr als ich zu Frau B. auf die Neurologie komme. Unterwegs kurze Begegnungen auf den verschiedenen Fluren mit 4 Putzfrauen und 2 „Transportdamen“.
Frau B. ist 87, seit 45 Jahren Witwe und Mutter eines Stationsarztes. Sie erzählt mir eine unglaubliche Geschichte von einer Putzfrau, die sie bestiehlt und deren Mann nicht die Treppen hinaufgeht sondern fliegt. Ihre Wohnung sei verhext und sie könne nicht mehr dorthin zurück. Frau B. macht auf mich überhaupt keinen verwirrten oder dementen Eindruck. Sie lacht gerne und erzählt mir viele kohärente Geschichten aus dem Leben. Sie möchte, dass ich ihre Wohnung exorziere und ich sage ihr, dass wir schon mal jetzt gleich von hier aus um Gottes Schutz beten können. Sie betet mit mir. Ich verspreche am nächsten Tag wiederzukommen.
Auf der Station frage ich nach Dr. B., aber er ist heute leider nicht da. Die Tochter, Schwiegertochter und den adoptierten Enkelsohn gibt es tatsächlich auch und so werden viele Geschichten, die sie mir erzählt hat, wohl auch stimmen?
Auf dem Weg vom 6. Stock in den 5. Stock des Nebengebäudes treffe ich Herrn Z. Er ist aus Ex-Jugoslawien und arbeitet hier seit Jahren im „Putz- und Serviceteam“. Schon früher hat er mir von seinem Leben erzählt, dass er Mathematikprofessor gewesen ist, die Papiere hier aber alle nicht anerkannt worden sind, so dass er diesen Job nun seit Jahren ausübt. Er hatte damals nicht die Kraft, noch einmal auf dem akademischen Weg ganz von vorne anzufangen. Jedesmal wenn wir uns begegnen wechseln wir ein paar Worte.
Im Büro schaue ich nach den E-Mails. Unter anderem eine von P.:

Hallo Michael,

mein Problem besteht geistiger Natur über die Kundalini-Energie, wo sich besagter Bruder bei mir mit sexueller Energie in meinen geistigen Körper (Ätherkörper s. Aura) eingeloggt hat. Es steht auch im Internet unter „Die geheime Schlangenkraft Kundalini“. Dort kannst Du alles nachlesen, auch die Symptome, die ich habe, z. B. Wahrnehmen übler Gerüche, Kribbeln am ganzen Körper, Zucken des Kopfes nach links (als wenn ich nein sagen würde), Druck auf den Darm (was sehr unangenehm ist) und sobald ich seinem Verlangen nachgebe, geht der Druck weg. Ich kann keine Beziehung zu einem anderen Mann mehr eingehen, weil besagter Bruder das spürt (da wir geistig verbunden sind und er mich so manipulieren kann). Er gibt mir ständig das Gefühl, ich sei keine normale Frau und das belastet mich sehr! Vielleicht kannst Du mich jetzt verstehen oder frag einen Schamanen, die wissen auch, wovon ich rede, nur bisher hatte ich nicht den Mut, einen Schamanen aufzusuchen. Wenn ich meine Bitten ins Kloster schicke, bekomme ich entweder keine Antwort oder immer das gleiche Gebet, das nützt mir nichts und hilft mir nicht.

Ich weiß, ich habe einen Fehler begangen vor 6 Jahren, nun muss ich dafür büßen, mein Leben lang. Das kann doch nicht wahr sein!

Viele Grüße

P.

Ich gab ihr schon mehrmals den Rat, einen Fachmann (Psychiater oder Therapeuten) aufzusuchen. Das hatte sie sehr verärgert. Nun diese Mail. Was soll ich ihr antworten? Ich schaue im Internet nach Kundalini und weiß, dies ist nicht meine Welt und ich will mich nicht weiter darauf einlassen. Trotzdem werde ich mir eine Antwort überlegen müssen.

Gegen 12:30 Mittagessen in der Cafeteria, zusammen mit der Equipe der Psychologen.
Beim Mittagessen Anruf von der Psychiatrie, direkt vom Telefon eines Patienten. Herr T. möchte mit mir reden. Ich gehe nach dem Essen gleich zu ihm. Herr T. wollte eigentlich nicht mit einem Pastor oder Kirchenmann sprechen, doch jetzt bräuchte er vielleicht doch meine Hilfe. Es kämen immer wieder Tote zu ihm.
Mir wird es ein bisschen mulmig. Ich hole tief Luft und frage nach den Einzelheiten. Seine Frau hält ihn für verrückt, der Arzt spricht von Halluzinationen. Ich mache ihm Mut, dass er Gott um Hilfe bitten und seinen Namenspatron zur Unterstützung anrufen könne.

Mit Verspätung komme ich zu L., die mich schon sehnsüchtig erwartet. Wir fahren die ca. 8 km zu ihrer Wohnung. Mir ist nicht ganz wohl bei der Aktion, denn sie ist doch geschwächt. Hoffentlich will sie nicht in der Wohnung aufräumen und viel mehr erledigen. Aber sie schaut dann doch nur nach den Papieren und will selbst möglichst schnell wieder zurück ins sichere Krankenhaus.

Nach 15 Uhr bin ich wieder im Büro und bereite die Eucharistiefeier für den Abend vor.
Dann mache ich noch einen Besuch bei C. Er ist Infirmier auf der Psychiatrie, liegt aber zurzeit nach einer OP auf der Chirurgie. Er hat Angst vor dem Befund und fürchtet, dass er wie sein Vater und Großvater ebenfalls Darmkrebs hat. Gegen 16:30 gehe ich noch einmal auf die Palliativstation, um mit der Bénévole von OMEGA 90 zu sprechen. Die freiwilligen Mitarbeiter sind hier eine großartige Unterstützung.

Um 18:00 bin ich in der Kapelle, um die heilige Messe vorzubereiten. Mit Meditationsmusik sorge ich für eine Atmosphäre des Empfangs. Eine ältere Witwe sitzt immer schon in der Kapelle, wenn ich eintreffe. Sie hat vor Jahren ihren Mann durch Krebs verloren. Seitdem kommt sie zu allen Meditationen und Gottesdiensten. Sie wohnt gegenüber vom Krankenhaus.
Sobald K., der Priester, eintrifft, gehe ich auf die Neurologie zu Frau B., um sie abzuholen und danach auf die geschlossene Psychiatrie und frage nach, ob jemand mit mir gehen möchte bzw. darf.

Um 18:30 ist die Eucharistiefeier mit 7 Patienten und gegen 19:30 ist der Tag vorbei und ich fahre heim.

Die Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag der Kranken in verschiedenen Sprachen:
http://www.vatican.va/content/francesco/de/messages/sick/documents/papa-francesco_20201220_giornata-malato.html

Botschaft von Papst Franziskus 2021
PDF 114.2 kiB, 8. Februar 2021
 
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