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Jahr A (2022-2023)  
18. Mai 2023

Die Stunde ist da

Kommentar zum 7. Ostersonntag von Winfried Heidrich (21.5.2023)

„Die Evangelien sind alle vom Ende her geschrieben. Literatur gewordene Trauerarbeit. In diese Trauer muss eintreten, wer den Text lesen und dem Christus begegnen will. Aus dem Gedächtnis des Todes Jesu erschließt sich das ganze Christentum.“ (Tiemo Rainer Peters) Und genau so dürfen wir Leserinnen und Leser des heutigen Johannesevangeliums die Abschiedsworte Jesu verstehen: als Trauerarbeit. In ergreifenden Worten verabschiedet sich Jesus nicht nur von seinen Freundinnen und Freunden, sondern von seinem eigenen Leben, das er nicht weniger geliebt haben wird als die meisten von uns ihr eigenes. Trauerarbeit auch gegenüber seinem „Vater“, dem er sein Leben rückblickend zusammenfasst und in die Hände legt. Mit dem Satz „Vater, die Stunde ist da.“ (Joh 17,1) weiß Jesus, was auf ihn zukommt und spricht mit diesem Satz seinen baldigen Tod an. Als Leser fährt mir dieser Satz von „der Stunde, die da ist“, in Herz und Glieder.

Wir spüren das Unaufschiebbare in uns arbeiten
Die Stunde ist da. Meine, unsere Zeit ist befristet. Jede Stunde kann die letzte sein. Wissen wir es? Es gibt Dinge und Situationen, die man nicht aufschieben kann. Wir spüren das Unaufschiebbare in uns arbeiten. Wie wühlt in uns die Zeit, wenn wir mit einem anderen Menschen etwas Existenzielles zu klären haben und es nicht tun (können). Wenn wir - älter werdend - vertane Lebens- und Beziehungszeit erkennen. Wenn wir Wünsche, die uns in Tagträumen verfolgen, aufschieben. Nichts lässt sich rückgängig machen. Und doch lässt sich vieles ändern: sich von nicht mehr Gültigem trennen, sich mit der Partnerin oder den Kindern aussprechen, Neues wagen im Bewusstsein der Begrenztheit und Kostbarkeit des Lebens.

„Welt“ ist eines der Schlüsselworte in den theologisch-poetischen Texten des Johannes. Ohne mit der Welt identisch zu sein, in ihr aufzugehen, sind und bleiben Jesu Jünger „in der Welt“ (Joh 17,11). Die Welt ist ihr Ort, jedoch ohne sich mit den Mächtigen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Religion gemein zu machen. Der Trost in der Abschiedsrede Jesu für seine Hinterbliebenen besteht in einer Ermutigung zum Dasein in der Welt, ja, zur Liebe für die Welt. „Liebe“ ein weiteres Schlüsselwort bei Johannes. Jesu Tod ist die Konsequenz seiner solidarischen Liebe zu den Menschen. Und: Jesus brachte Gott durch sein Leben zur Sprache. (Joh 17,6)

Pilgern für das Menschenrecht auf bezahlbares Wohnen
„Die Stunde ist da“ bedeutet einen bleibenden theologischen Weckruf und ist uns heutigen Christen in den kirchlichen Tiefschlaf gesprochen. „Die Stunde ist da“ könnte heißen, während der Muttergottesoktave gegen die gemachte Wohnungsnot in Luxemburg zu pilgern. Pilgern mit anderen Menschen gegen Besitzanhäufung um ihrer selber Willen. Pilgern für das Menschenrecht auf bezahlbares Wohnen. Pilgern für Werte, die sich nicht auf den Nenner von Geld reduzieren lassen. Was wäre das ein solidarisches Pilgern, das nicht „von dieser (kapitalistischen) Welt ist“, unter der Schirmherrschaft von Maria, einer vertriebenen und obdachlosen Frau. Pilgern, beten und einstehen für ein solches Wohnen Gottes unter den Menschen.

„Es ist Zeit, daß man weiß! Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt, daß der Unrast ein Herz schlägt. Es ist Zeit, daß es Zeit wird. Es ist Zeit.“ (Paul Celan)

Winfried HEIDRICH
 
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