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Er geht euch voraus nach Galiläa
Kommentar zum Ostersonntag von Sr. Danièle Faltz (9.4.2023)
Als mir angeboten wurde, den Meditationstext zum Ostersonntag zu schreiben, habe ich mich gefreut. Auferstehung ist ja ein wichtiges Thema, dazu gibt es viel zu schreiben. Und jetzt sitze ich vor einem leeren Blatt, und es wird mir immer klarer, dass wir eigentlich über die Auferstehung Jesu soviel wie nichts wissen.
Wir wissen, dass Jesus gestorben ist, schändlich gekreuzigt, verlassen von den meisten seiner Freunde. Wir wissen, dass er seinen Tod am Vorabend vorausgenommen hat. Beim letzten Mahl mit seinen Freunden, in der Vollendung der Liebe, verschenkte er sich, in den Zeichen von Brot und Wein und im Zeichen vom brüderlichen Dienst der Fußwaschung.
Von der Auferstehung selbst sagt das Evangelium nichts. Das Geschehen bleibt uns verborgen in der unendlichen Liebe Gottes; allein diese Liebe hat die Kraft, den Tod zu überwinden.
Allerdings lesen wir im Evangelium über die Erfahrungen, die verschiedene Freunde Jesu gemacht haben. Diese Erfahrungen beginnen fast immer ohne direkten Bezug zu Jesus: ein leeres Grab, ein Gärtner im Friedhof, ein unbekannter Weggefährte, ein Fremder am Ufer des Sees. Seine Freunde erkennen den Auferstandenen nicht unmittelbar. Also ist der Auferstandene ganz anders!
Aber er gibt sich zu erkennen: die weinende Maria spricht er mit ihrem Namen an, den enttäuschten Emmaus Jüngern erklärt er die Schrift und bricht mit ihnen das Brot, den verängstigten Jüngern wünscht er Frieden, den müden Fischern bereitet er das Mahl, dem zweifelnden Thomas hält er seine Wunden zur Berührung hin.
Zwei Hinweise können uns helfen, heute und hier, den auferstandenen Jesus zu erkennen: „Weshalb sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“(Lk 24,5) und: „Er geht euch voraus nach Galiläa“(Mk 16,7).
Galiläa, das ist hier und heute. Eine vielfältige Gesellschaft, mit vielen unausgesprochenen Erwartungen, Hoffnungen, Ängsten und Problemen. Die Lebenden sind die Menschen, mit denen wir leben. In der Begegnung mit ihnen kommt uns der auferstandene Herr entgegen. Allerdings müssen wir ihre Trauer teilen, ihre Enttäuschung verstehen, ihre Ängste annehmen, ihre Erschöpfung ernst nehmen, auf die Fremden zugehen, ihre Wunden berühren, ihre Zweifel zulassen und respektieren.
Sollten wir wirklich diese Haltungen einnehmen, würden wir die Welt verändern, aus der Kraft des gelebten Evangeliums… und vielleicht dennoch den Auferstandenen nicht unmittelbar erkennen.
Denn er gibt seine Anonymität erst beim Jüngsten Gericht auf. Wie es in Matthäus 25 geschrieben steht: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 24,40).
Erst im Tod werden wir den Lebenden von Angesicht zu Angesicht schauen, und im Nachhinein erkennen, wie und wo wir ihm in unserem Galiläa schon begegnet sind.
Dies zu glauben ist die Gnade, um die wir am Osterfest beten sollten. Sie gibt uns Kraft, so wie Jesus unser Leben aus Liebe hinzugeben und jetzt schon die Freude des auferstandenen Herrn zu teilen.
Ein Glück, dass ich an der Konferenz von Professor Tomas Halik teilnehmen durfte. Ihm verdanke ich die Anregung zu den Gedanken dieses Textes.