lb fr pt en de
Jahr A (2022-2023)  
14. September 2023

Die befreiende Kraft des Neuanfangs

Kommentar zum 24. Sonntag im Jahreskreis von Renée Schmit (17.9.2023)

Womöglich kennt der eine oder andere von Ihnen die Erfahrung, in einem Bücherladen zu stehen, ein tolles Buch zu entdecken, das dann zu einem emotionalen Kauf verführt, um es anschließend nur in eine bereits überfüllte Bibliothek zu stecken - ohne es je gelesen zu haben?

Mit einem Spiegel-Bestseller von Margot Käßmann ging es mir vor rund einem guten Jahr in etwa genauso. Der Titel des Buches “Vergebung - die befreiende Kraft des Neuanfangs”* war damals ein Blitzkauf. Die Autorin, eine herausragende kirchliche Persönlichkeit aus dem deutschsprachigen Raum, hatte mich bereits vor Jahren durch ihre Gradlinigkeit und Konsequenz interpelliert. Als evangelisch-lutherische Theologin und Bischöfin der evangelischen Landeskirche Hannovers war sie 2010 durch ihren unmäßigen Alkoholkonsum in die Schlagzeilen geraten und dieser Fehltritt führte dazu, dass sie anschließend von ihrem Amt als Bischöfin und als EKD-Ratsvorsitzende abdankte.

Ihr Buch über die Vergebung fiel mir dann während den Sommerferien nochmals in die Hand. Mit dem Unterschied, dass ich es nun zu lesen begann. Käßmann geht hier u.a. auf die heilende Wirkung der Vergebung ein. „Immer wieder habe ich erfahren, wie gut es tut, zu verzeihen. Nur so können wir wieder frei werden.“ Vergebung ist für sie nicht ein typisch christliches „must“, sondern eine Einladung in einen Veränderungsprozess einzusteigen, wo der Einzelne gefordert ist das Leben kreativ mitzugestalten.
„Wenn wir uns auf diesen Weg einlassen, gewinnen wir neue Perspektiven für unser Leben.“ Das, was Käßmann am eigenen Leib erfahren hat, bereicherte ihr Denken. Sie erfuhr, wie schwer es ist, wenn die eigene Schuld zum Verhängnis wird. Sie erlebte, wie mühsam es ist, dennoch weiter zu leben und den Schlüssel der Vergebung in die Hand zu nehmen: Vergebung gegenüber sich selbst, Vergebung aber auch gegenüber anderen bis hin zur Frage: Kann man überhaupt immer und überall vergeben? Ist Vergebung auch dann noch angesagt, wenn es sich um einen gravierenden Vertrauensbruch handelt oder wenn schweres Unrecht, sogar Verbrechen das eigene Leben bzw. das Leben der anderen aus der Bahn werfen? Für die Ex-Bischöfin ist die Vergebung ein zentraler Prozess des Lebens, ein spiritueller Weg mit Gott, um aus Verletzungen und Schmerz über die Gerechtigkeit zum echten Verzeihen zu kommen.

Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus ermutigt die Autorin ihre Leser sich mit diesem Thema auseinander zu setzen, sogar vielleicht nach langem Ringen, die Opferrolle endlich zu verlassen, um sich aus der Macht des Täters zu befreien, und so die Kraft des Neuanfangs zu erleben.

Als Christinnen und Christen dürfen wir uns den Herausforderungen des Verzeihens täglich neu stellen, indem wir Verletzungen und menschliches Versagen nicht verdrängen, sondern unser Scheitern, durch und mit Jesus, in die Vergebung bringen. Schließlich ist sein Kreuz der Quellgrund des Verzeihens.

Auch im Evangelium des 24. Sonntags im Jahreskreis ermutigt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger auf diesem Weg. Dabei ist es Petrus, der dem Meister die präzise Frage stellt: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt hat? Siebenmal?“ und Jesus antwortet ohne Zögern: „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“. Verzeihung ist nicht etwas Einmaliges, sondern ein Weg, der mit Jesus zum Programm wird.
Papst Franziskus hat dies seit Beginn seines Pontifikates immer wieder betont. Sein Wahlspruch “Miserando atque eligendo” („Aus Erbarmen erwählt“) ist kein Etikettenschwindel, denn Zeichen der Barmherzigkeit und der Vergebung hat dieser pastorale Papst schon viele gesetzt und sich damit nicht nur Freunde gemacht. Mit ihm wollen auch wir an die ganze Wirkkraft des Verzeihens glauben, um durch kleine aber stetig neue Schritte auf dem Weg der Vergebung wachsen und so neues Leben zu ermöglichen.

* Margot Käßmann, Dei befreiende Kraft des Neuanfangs, Beneverlag, 2022

Renée SCHMIT
renee.schmit@cathol.lu

Directrice du Centre de formation diocésain Jean XXIII
Déléguée épiscopale à l’Évangélisation et la Formation diocésaine

 
Ä e r z b i s t u m    L ë t z e b u e r g   .   A r c h e v ê c h é   d e   L u x e m b o u r g    .   
YouTube
SoundCloud
Twitter
Instagram
Facebook
Flickr
Service Kommunikatioun a Press . Service Communication et Presse
Äerzbistum Lëtzebuerg . Archevêché de Luxembourg

© Verschidde Rechter reservéiert . Certains droits réservés
Dateschutz . Protection des données
Ëmweltschutz . Protection de l'environnement
5 avenue Marie-Thérèse
Bâtiment H, 1er Étage
L-2132 Luxembourg
+352 44 74 34 01
com@cathol.lu