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Jahr B (2023-2024)  
28. Dezember 2023

Der erste geschützte Freiheitsraum

Kommentar zum Sonntag der Hl. Familie von Winfried Heidrich (31.12.2023)

An diesem Sonntag feiern wir das Fest der „Heiligen Familie“. In der katholischen Kirche beginnt die Verehrung der Heiligen Familie in der gegenreformatorischen Barockzeit. Mit dieser Verehrung will man eine in Folge der Reformation stattfindende religiöse Abwertung der Familie aufhalten, ist doch die Ehe in der protestantischen Kirche kein heiliges Sakrament mehr. Ende des 19. Jahrhunderts führt Papst Leo XIII. das Fest der Heiligen Familie auch ein, um einer Entchristlichung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Wir befinden uns in Zeiten wachsender Religionskritik, haben die Schriften von Marx und Nietzsche hinter und die von Freud unmittelbar vor uns. Die geistige Vorherrschaft der katholischen Kirche ist mehr als brüchig geworden. 1920 wird dieses Fest des Glaubens schließlich von Papst Benedikt XV. für die gesamte katholische Kirche verbindlich eingeführt. Die meisten von uns kennen aus der Kunstgeschichte überlieferte Bilder eines innigen Zusammenseins der Heiligen Familie: Maria am Spinnrad, Joseph an der Hobelbank und - besonders kitschig - das Kind Jesus mit einem kleinen Holzkreuz spielend.

In den Evangelien des Neuen Testaments ist diese Kleinfamilie aus Nazareth komplexer beschrieben als in einfacher Vater-Mutter-Kind Triade. In diesen Texten ist die Familie vielfältig, unübersichtlich, ähnlich heutigen Patchworkfamilien: Joseph ist nicht der leibliche Vater Jesu. Sein Vater ist Gott im Himmel. Wenn Gott Jesu Vater ist, dann ist seine Mutter sowohl Frau als auch - bei Jesu göttlicher Natur - Mutter Gottes zugleich. Neben der göttlichen Vielfalt, in welche die katholische Kirche diese jüdische Familie verwandelt, beschreibt die Bibel eindringlich ihre Gefährdung als obdachlose (Bethlehem) und geflüchtete (Ägypten) Familie. Weiter sprechen die Evangelien von Geschwistern, die Jesus hat, die jedoch im Bild der Heiligen Familie unterschlagen werden. In Matthäus 12,50 erweitert Jesus die Vorstellung von Familie: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Aus leiblichen Eltern-Kind Relationen erwachsen in den Evangelien geistige und soziale Familienbanden. Man gehört einander an nicht vorrangig durch Geburt, sondern durch Glaube und insbesondere einer Praxis der Nächstenliebe - noch heute die beiden zentralen Aspekte des Christlichen. Die neue luxemburgische CSV Regierung entwickelt aktuell hingegen eine unchristliche Politik. Arme und Obdachlose werden vertrieben, Wohlhabende und Erben geschont. Es wäre konsequent, wenn das C aus dieser Partei austräte.

Wer heute eine Familie mit Kindern hat, der weiß, wie wichtig nicht heilige, aber haltbare Bindungen zwischen Eltern sind, um eine Familie zu führen mit ihren Fragen von Arbeit, Liebe, Freundschaft, Wohnen und Welt. Das altmodische Wort „heilig“ in Heilige Familie dürfen wir heute mit Umschreibungen versehen wie: besonders, schützenswert, ja, gesegnet von welchem Oben auch immer. Der französische Philosoph François Jullien hat es präzise und poetisch ausgedrückt: „Kultur und Gesellschaft entfalten sich stets von so etwas wie einem „Herd“ aus, durch das Singuläre hindurch, denn nur das Singuläre ist kreativ.“

Nur singulär bleibt die Familie einsam und (selbst)isoliert. Viele machen diese Erfahrung, bleiben unter sich, aus Angst vor der bunten Welt und den fremden Anderen. Aus Furcht, womöglich etwas zu verlieren. Dabei hat heute die singuläre Familie die Vielfalt, wenn sie diese zulässt, doch schon in sich selber: die Vielfalt des Glaubens, die Vielfalt sexueller Orientierung, die Vielfalt politischer Sichtweisen, die Vielfalt der Träume. Eine Familie, mit sich im lebendigen Gespräch, ist ein sicherer Raum nach Innen und gleichzeitig offen und gastfreundschaftlich nach Außen. So verstehe ich den Zusammenhang von Singulärem und Kreativem bei Jullien. Die Freiheit des Schöpferischen entfaltet sich da, wo der Einzelne sich ausprobieren kann. Die Familie, in einer ihrer vielen Formen und Gestaltungen, ist der erste geschützte Freiheitsraum. So können wir auch heute das Fest der Heiligen Familie feiern.

Winfried HEIDRICH
 
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