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Jahr B (2017-2018)  
30. Juni 2018

„Nur seinen Kleidersaum berühren ...“

Der Kommentar zum 13. Sonntag im Jahreskreis von Elisabeth Werner (1.7.2018)

Mk 5,21-43

Zwei Frauen – ihr Name wird nicht genannt – werden von Jesus ins Leben zurückgeholt. Zwei ineinander verschachtelte Geschichten, vom Evangelisten ausführlich geschildert (Mk 5,21-43), stehen für die Botschaft, die das ganze Markusevangelium durchzieht: Das Reich Gottes ist angebrochen. Eine gerechte, heile Zeit für alle, denn, so die erste Lesung: „Gott hat den Tod nicht gemacht, hat keine Freude am Untergang der Lebenden.“ (Weish 1,13)

Eigentlich hat Jesus keine Zeit zu verlieren: Jaïrus, der Synagogenvorsteher, hat ihn angefleht, seine sterbende Tochter zu retten. Inmitten der Menschenmenge macht Jesus sich auf den Weg zu ihr. Inmitten der Menschenmenge berührt eine kranke Frau verstohlen seinen Kleidersaum im mutigen Vertrauen, geheilt zu werden. Seit zwölf Jahren leidet sie an Blutfluss – und an sozialer Ausgrenzung; sie gilt nicht nur als unfruchtbar, sondern ist als Blutende nach jüdischem Gesetz kultisch-rituell unrein (Lev. 15,25-27), ob vieler Arztbesuche finanziell ruiniert und körperlich-seelisch wohl am Ende.

Jesus spürt, wie Gottes Heilkraft aus ihm strömt; die Frau spürt, wie sie an Leib und Seele Gott begegnet und gesundet. Jesus hätte alles im Verborgenen lassen können. Dass er sich umdreht, um sie persönlich anzusprechen, das erst vollendet ihre Heilung. Vor aller Augen macht er sie nicht als Opfer, sondern als Handelnde erkenntlich und lässt sie ihre Leidensgeschichte, ihre Geste und ihre Heilung – „die ganze Wahrheit“ (V. 33) – in eigene Worte fassen. Sie wird zur Verkünderin. Jesus überschreitet einmal mehr soziale und religiös-kulturelle Grenzen, damit Gottes grenzenlose Liebe sich entfalten kann. Heilsames geschieht auf der Straße, unterwegs, durch Achtsamkeit, Begegnung und Mut im Umgang mit einem kranken Menschen.

Etwas später, im Hause des Jaïrus, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der lauten Trauergemeinde, findet Jesus das zwölfjährige Mädchen vor, das indessen gestorben ist. Drei Begleiter nimmt er mit: Petrus, Jakobus und Johannes, die auch zu einem späteren Zeitpunkt bei der Verklärung auf dem Berg anwesend sein werden: Es geht um ein Schlüsselereignis, um Auferstehung. Jesus fasst das tote Mädchen bei der Hand und fordert es auf, aufzustehen: „Talita kum!“ Sofort steht das Mädchen auf und geht umher.

Zwei unterschiedliche Frauen werden gerettet: Das Wort „sozein“ (V. 24; 34) bedeutet heilen, befreien und retten zugleich. Die geheilte Frau erlangt die körperliche und soziale Reintegration, das von den Toten auferweckte Mädchen darf leben und wachsen als heiratsfähige junge Frau. Unfruchtbarkeit, Blutverlust, Geschlechtsreife: Körperlich-seelische Erfahrungen von Frauen werden aus der Tabuzone gehoben hinein in die Heilsgeschichte, zwischen Gottverlassenheit – Tod und Gnade – Leben.

Kleine, mutige Gesten – „nur seinen Kleidersaum berühren“ – machen den Weg frei für Veränderung und Heilung. Religiös verankerte Tabus versperren auch heute Frauen den Weg, werden gar zum Vorwand von Ausgrenzung. Man denke an unzählige Mädchen und Frauen in Indien und Nepal, die während ihrer Menstruation vom gesellschaftlichen und häuslichen Leben ausgeschlossen sind. Blutfluss im Zusammenhang mit religiösen Traditionen bleibt ein Thema für unsere Gesellschaft und Kirchen, „wenn man bedenkt, dass sowohl im Judentum und Christentum als auch in anderen Weltreligionen Frauen, religiös gesehen, nicht gleichberechtigt sind und der Verdacht naheliegt, dies liege vor allem an der weiblichen Biologie. Allerdings wird die kultische Unreinheit der Frau als traditionelle Begründung zum Beispiel bei Auseinandersetzungen um die liturgische Rolle der Frau nicht mehr angeführt und man behauptet, die alttestamentlichen Reinheitsvorschriften überwunden zu haben“, so die Theologin und Pädagogin Gerburgis Feld.

Vor über 2.000 Jahren nahm Jesus Frauen vom Rand in die Mitte; er sprach nicht über sie, sondern mit ihnen, auf Augenhöhe. Seine Kirche hat noch einen heilenden Weg zu gehen.

Quelle: Luxemburger Wort

Elisabeth WERNER
 
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