lb fr pt en de
Jahr B (2017-2018)  
31. März 2018

Ratlosigkeit schafft Rat

Kommentar zu Ostern von Fernand Huberty (1.4.2018)

Kommentar zu Ostern und Gedanken zum Johannes-Evangelium (20, 1-9)

In den Ostererzählungen der Evangelien begegnen uns viele ratlose Menschen. Die Frauen, die zum Grab kommen, sind ratlos: „Wer wälzt uns den Stein weg?“ Ratlos und erschrocken stehen sie später im leeren Grab. Maria von Magdala sagt ratlos als erste Verkündigerin des Osterfests zu den Jüngern: „Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat!“

Als Petrus mit Johannes ins leere Grab kommt, heißt es zwar „Er sah und glaubte“, aber schon im nächsten Satz lesen wir: „Sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.“ Noch einmal Maria von Magdala: Sie fragt den, den sie für den Gärtner hält: „Wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast.“ Und sie weint. Die Emmausjünger sind ratlos auf ihrem Weg weg von Jerusalem. Sie haben sich alles ganz anders vorgestellt und stehen jetzt vor dem Nichts. Nicht zuletzt die Hohepriester sind ratlos und suchen verzweifelt nach einer Lösung. Ihnen fällt nichts Besseres ein als die Wächter zu bestechen: „Sagt man hat ihn gestohlen“. Also Ratlosigkeit ringsum.

Wenn wir hören, wer alles da ratlos war, sind wir mit unserer Ratlosigkeit in guter Gesellschaft. Wahrhaftig, wie oft bin ich ratlos, wie sind Sie ratlos! Eltern wissen nicht mehr, was sie ihren Kindern noch sagen sollen. Sie gehen so eigene Wege. Sie haben sich von Gott und seiner Kirche getrennt. Sagen sie etwas, verschlimmert es noch die Situation. Sie sind ratlos.

Was soll ich denn noch tun

Einer hat seinen Arbeitsplatz verloren. Er sucht, er fragt, läuft von einer Firma zur anderen, schreibt Bewerbungsbriefe, erfolglos. Neunmal neun Gescheite sagen ihm auch noch: „Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit“. Er ist ratlos. Was soll ich denn noch tun? Eine schwere Krankheit zerfrisst langsam den Körper eines Menschen, die Ärzte sind machtlos und ratlos. Auch der Kranke und seine Familie wissen sich keinen Rat mehr. Oft lässt Gott selbst uns ratlos sein. Ich möchte ja an ihn glauben. Ich suche ihn. Ich frage nach ihm – finde aber keine Antwort. Er sagt, er sei nahe. Aber ich erlebe ihn fern. Er sagt, dass er mich liebt, aber ich spüre nichts davon. Er sagt, dass er lebt, aber in mir scheint er tot zu sein. Gott selbst macht mich ratlos. Viele können ihre Ratlosigkeit nur schwer ertragen. Man muss doch etwas tun, sagen sie. Das muss doch hinzukriegen sein. Irgendeinen Weg muss es doch geben.

Gleichzeitig erfahren wir alle dass wir nichts tun können als die Ratlosigkeit auszuhalten. Wahrhaftig, wir stehen ratlos an der Seite derer, von deren Ratlosigkeit die Osterevangelien erzählen. Meine Ratlosigkeit, die ich mir eingestehe, meine Begrenztheit, die ich mir eingestehe, macht mich offen für unerwartete, nicht machbare Lösungen: Menschen begegnen mir, die meine Ratlosigkeit wahrnehmen, andere Möglichkeiten haben als ich, die mir weiterhelfen. Meine Ratlosigkeit macht mich offen für sie. Mancher sucht erst eine Beratungsstelle auf, wenn er selbst mit seinem Latein am Ende ist. Ratlosigkeit schafft Rat.

Die österliche Ratlosigkeit ist in diesem Horizont für mich geradezu die Einbruchstelle für den Auferstandenen. Wo Menschen an Gräbern stehen und glauben, sie müssten die Frage von Tod und Leben selbst in den Griff bekommen, da treten sie auf der Stelle, oder kommen oft auf Wahnsinnsideen wie die Hohepriester: Sagt, man hätte den Leichnam gestohlen. Meine Ratlosigkeit eingestehen wie Petrus, Johannes, die Emmausjünger, Maria von Magdala: Das ist die Tür, durch die der Auferstandene eintreten kann. Meine Ratlosigkeit gibt sich nicht mit vorschnellen Antworten zufrieden. Sie lässt mich dauernd suchen und fragen.

Wider Allmachtsfantasien

Meine Sehnsucht nach Leben, die angesichts des Todes die Ratlosigkeit noch verstärkt, weiß um ihre eigenen Grenzen und sucht darum nach Möglichkeiten über den eigenen Horizont hinaus. So wird sie offen für die unerschöpflichen Möglichkeiten Gottes.
Der Ostermorgen findet die Jüngerinnen als Erste und dann die Jünger Jesu ratlos vor, ebenso uns heute. Diese Ratlosigkeit eingestehen, das heißt gleichzeitig: Die Tore aufmachen für den Gott des Lebens, dem der Tod das Tor zum Leben ist – und wenn noch so dicke Steine davor gerollt sind. Der allmächtige Gott wirkt über die Grenzen unserer Macht hinaus. Er schafft und erhält Leben, wo der Tod uns ratlos macht. Menschen mit Allmachtsfantasien werden sich an Ostern kaum freuen können. Das werden wir schon noch in den Griff bekommen, mit diesen Worten betrügen sie sich selbst. Ratlose Menschen, die angesichts ihrer Ratlosigkeit nicht resignieren, sondern sich öffnen für die Möglichkeiten anderer, nicht zuletzt für die Möglichkeiten Gottes, denen erschließt sich die Freude des heutigen Festes. Gott lässt seinen Sohn nicht im Grab. Gott lässt seinen Sohn nicht im Tod. Der Gott des Lebens ist stärker als der Tod. Das ist die Quelle der Hoffnung für alle Ratlosen, die um ihre eigene Begrenztheit wissen, und die sich ihre Ratlosigkeit eingestehen.

Darum lautet meine etwas ungewöhnliche Aufforderung an Sie zum Osterfest: Seid nicht hoffnungslose Optimisten! Seid hoffnungsvolle Realisten, die sich im Wissen um ihre Unmöglichkeiten öffnen für Gottes unerschöpfliche Möglichkeiten! Seid ratlos! Ratlosigkeit schafft Rat.

(Quelle: Luxemburger Wort, Osterbeilage 2018)

Fernand HUBERTY
 
Ä e r z b i s t u m    L ë t z e b u e r g   .   A r c h e v ê c h é   d e   L u x e m b o u r g    .   
YouTube
SoundCloud
Twitter
Instagram
Facebook
Flickr
Service Kommunikatioun a Press . Service Communication et Presse
Äerzbistum Lëtzebuerg . Archevêché de Luxembourg

© Verschidde Rechter reservéiert . Certains droits réservés
Dateschutz . Protection des données
Ëmweltschutz . Protection de l'environnement
5 avenue Marie-Thérèse
Bâtiment H, 1er Étage
L-2132 Luxembourg
+352 44 74 34 01
com@cathol.lu