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Jahr B (2020-2021)  
3. September 2021

Effata, tu dich auf!

Kommentar zum 23. Sonntag von Winfried Heidrich (5.9.2021)

In einer eindringlichen Szene, die aus den Berichten der Evangelien herausragt, heilt Jesus in der Erzählung von Markus einen Menschen, den seine Jünger zu ihm bringen. Die Nähe, die Jesus in der Begegnung mit dem Taubstummen herstellt, ist gleichsam verbunden mit der Nähe Jesu zu seinem Gott: Er „legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich!“ Stellt (erst) die bedingungslose Nähe zum anderen Transzendenz her und wird so eine Brücke zu Gott?

Wir haben ein Bild vor uns, das in seiner Sinnlichkeit bei vielen Menschen Peinlichkeit und Abscheu hervorrufen wird und heute gar die Angst vor Ansteckung. In Jesu Begegnung mit dem Mann wird eine Innigkeit gezeigt, die unseren starren und kontrollierten Formen zwischenmenschlicher Begegnung diametral gegenübersteht. Jesus lebt in der Begegnung mit dem Taubstummen eine Freiheit aus, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Menschen kennen ähnliche Freiheit aus intensivsten Erfahrungen ihres Lebens, wo es ihnen gelingt, Regeln und Kontrolle beiseite zu lassen: Geburt, Liebe, Krankheit, Tod. Glückliche und schmerzliche Erfahrungen, die unser Leben in ein anderes Licht stellen.

In dieser Wundergeschichte kommt ein Bild von Gott zur Sprache, das, eher als verstanden, wohl immer wieder nur neu erzählt werden kann. Gott wird im Erzählen biblischer Geschichten denkbar und sagbar. Hier und heute hören wir die Wundermächtigkeit Jesu in unsere gesellschaftliche Situation hinein gesprochen, in der wir Pandemie bedingt maskiert und unberührbar durch die Welt laufen. In der Menschen unberührt und alleingelassen sterben. Dieses markinische Jesus-Mensch-Gott Bild befragt den Leser - und den Schreiber - nach seiner Praxis der Nächstenliebe. Nach seiner Solidarität und Liebesfähigkeit.

Der Philosoph Emmanuel Levinas spricht in seinen Texten oft vom „Antlitz“ des anderen Menschen, das uns in seiner Einzigartigkeit anschaut und für das wir in diesem Moment verantwortlich sind: „Liebe besteht ohne Sorge für das Geliebt-Sein. In diesem Moment ist der andere einzig. Und ich bin einzig in einem anderen Sinne: als erwählt, als zur Verantwortlichkeit erwählt.“ Erstaunt stellen Menschen fest, zu welcher Empfänglichkeit und Hilfsbereitschaft sie in der Lage sind, wenn sich ein Mensch in Not oder aus Liebe ihnen in den Weg stellt. Es sind konkrete Begegnungen mit fremden Menschen, die eigene Berührungsängste und Vorurteile überwinden lassen.

Effata, tu dich auf!“ spricht Jesus zu dem Mann und zugleich mit einem Seufzer in den Himmel zu Gott. Der Theologe Jacques Pohier spricht von „der Öffnung ins Unendliche, die Gott dem Raum verlieh, den Jesus durch sein Leben und sein Wort, durch seinen Tod und sein Wiedererstehen erschloss.“ Der Gott, der von Seufzern und durch Stoßgebete angerufen wird und der in einem Säuseln (1 Könige 19) kommt, ist „kein Gott der Dauer, der Stabilität und Sicherheit, vielmehr ein Bundesgenosse des Umdenkens, der Innovation und Umkehr.“ (Tiemo Rainer Peters)

Effata, tu dich auf!“ In diesem Evangelium spricht Jesus nicht zuletzt zu seiner immer wieder schwerhörigen Kirche. Höret zu! Wo die Kirche zuhört in die Jetztzeit hinein, wo sie das durch Jesus gesprochene lebendige Wort Gottes hört, wird sie bewegt und kann sich selber bewegen. “Aggiornamento” lautet das berühmte Wort von Papst Johannes XXIII. Es war sein „Öffne dich!“ Wort für die Kirche und wurde zum Leitmotiv des Zweiten Vatikanischen Konzils - ein immer noch einzuholendes Versprechen für eine zeitgemäße Kirche Jesu.

Winfried HEIDRICH
 
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