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Advent, eine Zeit der Erschütterung
Kommentar zum 1. Adventssonntag von Renée Schmit (27.11.2022)
In unseren Dörfern und Städten wird der Advent in diesem Jahr vermutlich anders aussehen. Die Energiekrise und die Preisentwicklung werden die Konsumenten beinflussen und nicht wenige werden 2022 auf die traditionelle Adventsbeleuchtung verzichten. Auch schmalere Geldbeutel riskieren den Konsum auf Advents-und Weihnachtsmärkten zu drücken. Ein anderer Advent?
Eine erzwungene Bescheidenheit liegt auf der Hand, da eine neue Form von Kolonialkrieg die Westeuropäer in Atem hält. Unsägliches Leid für die Bevölkerung der Ukraine und ein Massenexodus. Wer hätte diese Apokalypse noch vor einem Jahr erahnt? Was heisst das aber für unsere Vorbereitung auf die Weihnachten? Wir spüren, dass es hier nicht mit Rorategottesdiensten und sehnsuchtvollen Adventsgesängen getan ist? Die angstgetriebenen Flüchtlinge aus diesem Krisengebiet fragen nach Zeichen der Menschlichkeit. Sie und viele andere Flüchtlinge, die schon seit längerem unseren Alltag prägen, wollen diesem Advent ein ganz spezielles Gepräge geben.
Berührt durch die Schreckensszenen eines grausamen Angriffskrieges, erinnern wir uns an den Zweiten Weltkrieg, der auch vor den Grenzen Luxemburgs nicht Halt machte. Damals gab es in Europa etliche prophetische, adventliche Gestalten, die ihre Stimme gegen die despotischen Machthaber erhoben. Unter ihnen auch der Jesuitenpater Alfred Delp. In seinen persönlichen Erinnerungen, die er zum Teil mit gefesselten Händen verfasste, spricht er vom Advent als „Eine Zeit der Erschütterung”, in der der Mensch wach werden soll, um sich neu zu finden. Für ihn ist „die Voraussetzung des erfüllten Advents der Verzicht auf die anmaßenden Gebärden und verführerischen Träume, mit denen und in denen sich Menschen immer wieder etwas vormachen.“
Ein prophetischer Aufruf auch für uns? Wenn der Evangelist Matthäus die apokalyptische Vision des Weltenendes im Sonntagsevengelium mit unterschiedlichen Bildern beschreibt, kommt die Ukraine uns unwillkürlich in den Sinn.
Aber der Evangelist unterstreicht, dass die Zerstörung nicht das letzte Wort hat. Mitten im Chaos erscheint der Menschensohn am Himmel, um zu zeigen, dass Gott diese Menschheit nicht zur Hölle fahren lässt. Warum? Ganz einfach, aus Liebe. Denn, wie könnte der Schöpfer seine eigenen Geschöpfe dem Untergang preisgeben? Als Weltenherrscher bleibt Er der Herr des Hauses. So ist der Weltuntergang durch Den der kommt, nur der Einbruch in eine heile Welt. Für uns ist Jesus dieser Eine. Als Herr des “gemeinsamen Hauses”, wie Papst Franziskus sagt, kommt Er jedoch zu einer Stunde, in der wir es nicht erahnen. Advent heisst, dass Jesus kommen will, weil die Liebe ihn drängt. Mit Ihm soll es zur Begegnung mit dem Vater kommen. So ist die eigentliche Erschütterung die, Ihn in unseren Alltag einzulassen. Es ist zu unserem Heil.
Renée Schmit
„Advent, eine Zeit der Erschütterung“ Alfred Delp s.j., Im Angesicht des Todes, Ignatianische Impulse, Echterverlag 2020
renee.schmit@cathol.lu
Directrice du Centre de formation diocésain Jean XXIII
Déléguée épiscopale à l’Évangélisation et la Formation diocésaine