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Jahr B (2017-2018)  
30. Dezember 2017

Familie sein im Geiste

Kommentar zum Sonntag am Fest der Heiligen Familie von Winfried Heidrich (31.12.2017)

Lk 2,22-40

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird in der katholischen Kirche das „Fest der Heiligen Familie“ gefeiert. Zu einem Zeitpunkt, wo der christliche Glaube in Frage gestellt wird durch säkulare Weltanschauungen und die Industrialisierung, welche die Welt immer stärker durch Technik und Wissenschaft bestimmt.

An diesem Punkt setzt die Kirche mit dem Fest der „Heiligen Familie“ ein religiöses Gegengewicht. Die Andachtsbilder Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts bieten den gläubigen Betrachtern ein idyllisches, weltentrücktes Bild von Jesus und seiner Familie. Andachtsbilder, die weder zu Jesus noch zu seinen Eltern passen. Die Menschen sollen eingebettet bleiben in eine ungebrochene religiöse Sicht von Familie und Welt. Diese weich gezeichnete Theologie steht in krassem Gegensatz etwa zu den zur gleichen Zeit entstandenen Familienbildern von Käthe Kollwitz, die in Zeichnungen und Skulpturen Elend und Armut der Menschen darstellt. Nicht zuletzt durch einen fürchterlichen Weltkrieg waren die Erfahrungen und der Glaube der Christen kaum noch vereinbar mit dem Bild eines lieben und allmächtigen Gottes. Das Bild der „Heiligen Familie“, liturgisch festgelegt im kirchlichen Jahreskreis, sollte die verstörende „Weltlichkeit der Welt“ (J.B. Metz) abwehren und zugleich beiden Halt geben: den Gläubigen und der katholischen Kirche.

Heute machen wir in der Kirche die Erfahrung, dass es keine vom Alltag abgespaltene religiöse Sonderwelt mehr gibt. Religion, will sie mehr als „billiger“ Trost sein, findet mitten im oft unbehausten Leben der Menschen statt. Und ebenso im wachsend unbehausten Leben der Kirche selber. Wenn wir also das Fest der „Heiligen Familie“ feiern, gilt es die unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten von Menschen wahrzunehmen und zu würdigen. Der hierzulande traditionellen katholischen Familie hat sich eine Vielzahl von Familien- und Paarmodellen hinzugesellt: Patchworkfamilien, gepaxte Paare, Alleinerziehende, verheiratete Frauen- und Männerpaare, Adoptionsfamilien, Flüchtlingsfamilien, Paare und Familien unterschiedlicher Religionen und Konfessionen. Den meisten dieser Menschen ist ihre Familie heilig. Von ihr aus gehen sie in die Welt und kehren zu ihr zurück. Unabhängig von konfessionellen Bindungen pflegen Familien auch weiterhin kirchliche Rituale, sie verändern bestehende und entwickeln neue Rituale. Dabei bleibt ihre Suche nach Familiensinn immer auch fragwürdigen Angeboten ausgesetzt: materieller und spiritueller Konsum als „Opium des Volkes.“ (Karl Marx)

Die doppelte Sicht auf Familie fördert gegenseitige Empathie und Toleranz

Im zehnten und im zwölften Kapitel des Matthäusevangeliums unterscheidet Jesus zwischen der leiblichen Familie und einer im Geiste verbundenen, einer spirituellen Familie. Dieser provozierende Gedanke, dass es verschiedene Weisen von Familie gebe, also Alternativen zur Herkunftsfamilie, birgt leider oft im wahrsten Sinne des Wortes viel „Sprengstoff“ in sich. Aber er trennt Familien nicht nur. Denn die Praxis dieses Gedankens bietet befreiende Möglichkeiten. Welcher junge Mensch verlässt nicht – zumindest gedanklich – seine Ursprungsfamilie um seiner Entwicklung und Freiheit Willen? Er geht auf Distanz, sucht sich andere Kontexte, einen anderen Lebenssinn, um – hoffentlich – der Ursprungsfamilie auf seine Art verbunden zu bleiben oder erwachsen geworden zu ihr zurückzukehren. Weggehen, um bleiben zu können. Wie es schon der zwölfjährige Jesus zum Entsetzen seiner Eltern tat. (Lk 2)

Die beiden Matthäus-Texte des Evangeliums, verstanden in ihrer öffnenden Sicht auf die Familie, lehrt Eltern, ihre Kinder gehen zu lassen. Ja, sie zu entlassen. Kinder müssen keinen religiösen, beruflichen oder politischen Gehorsam leisten – soweit die unbewussten Bindungen ihnen freie Entscheidungen gestatten. Die doppelte Sicht auf Familie fördert gegenseitige Empathie und Toleranz. Sie entlastet den Umgang mit der eigenen Familientradition. Und sie hilft, Widersprüche auszuhalten, die das Leben in seiner Vielfalt uns zumutet. Weggefährtenschaft in geistiger Verwandtschaft ermöglicht, sich tiefer in andere Welten hineinzuwagen als allein aus einem Geist der Abstammung.

Die jesuanische Aufforderung zu spiritueller Beweglichkeit gilt mehr denn je einer Kirche, die sich selbst als eine immer unterwegs Seiende bezeichnet: „So unverzichtbar also die Tradition ist – sie ist Richtschnur, nicht Selbstzweck. Sie sichert die Kontinuität des Glaubens nur, wenn sie inspiriert bleibt vom Ethos der Freiheit und Geschwisterlichkeit.“ (Tiemo Rainer Peters: Gott ist ein Zeitwort)

Quelle: Luxemburger Wort

Winfried HEIDRICH
 
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