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Von Bartimäus sehen lernen
Der Kommentar zum 30. Sonntag im Jahreskreis von Claude Bache (28.10.2018)
Mk 10,46-52
Von frommen Pilgern, die auf dem Weg nach Jerusalem durch Jericho kommen, darf wohl erwartet werden, dass sie ihre Hand öffnen für den Bruder oder die Schwester in Not. Und so ist Jericho ein bevorzugter Ort für Bettler und für jene, die auf fremde Hilfe angewiesen sind.
Unter ihnen befindet sich der blinde Bartimäus, ein impulsiver Charakter, der für sich einzufordern weiß. Er hat eine Sprache gefunden, die das Schweigen der Leidenden bricht und der Verzweiflung Ausdruck gibt. So schreit er denn auch laut auf, als er hört, dass Jesus von Nazareth an ihm vorbeizieht.
Bartimäus steht Modell für die Weise, wie das Christentum begann: als eine persönliche Reaktion auf Jesus. Jesus belohnt seine Beharrlichkeit, indem er stehen bleibt und Bartimäus einlädt, sich ihm zu nähern.
Die Menge, die den lärmenden Bettler zunächst zum Schweigen bringen möchte – wankelmütig wie immer –, ermutigt ihn nun dazu. Schweigen hieße für Bartimäus, in Hoffnungslosigkeit zu verharren, ohne den Glauben, dass in seinem Leben Veränderung möglich ist. Und so wirft er energisch den Mantel ab, um frei und behände auf Jesus zugehen zu können. Er weiß genau, was er von Jesus möchte: das Augenlicht. Bartimäus weigert sich, kraftlos und passiv zu bleiben, und gibt seiner Sehnsucht nach Heilung energisch Ausdruck. Dabei ist Bartimäus nicht nur ohne Augenlicht, und die Vielfalt seiner Persönlichkeit darf keineswegs nur auf seine Blindheit reduziert werden.
In seiner Entschlossenheit kann Bartimäus Vorbild für uns sein, die wir oft vage und unsicher in unseren Vorstellungen echter Christusnachfolge sind. Wissen wir eigentlich, was wir wollen?
Bartimäus geht allen voran, die sich Jesus nähern wollen. Gewiss, er ist ein blinder Bettler, mittellos, getrieben einzig von seinem Verlangen nach Heilung, ohne im Gegenzug etwas dafür anbieten zu können. Doch die Aussage Jesu, dass sein Glaube ihn geheilt habe, lässt den befreiten Bartimäus erahnen, dass es noch mehr zu sehen gibt.
„Der physisch Blinde weiß, dass er eine Behinderung hat, der spirituell Blinde weiß es oft nicht.“ (Quelle unbekannt) Daher erwartet Jesus von uns, dass wir sehend werden und im Glauben wachsen. Das kann bedeuten, mit uns selber ehrlich zu sein. Für den einen mag das heißen, seine Schuld in deutlichem Licht zu sehen und die Versöhnung mit Gott zu suchen, für einen anderen, sich als von Gott geliebt und angenommen zu sehen und sich nicht ständig mit Schuldgefühlen zu belasten.
Ein nächster Schritt wäre, Jesus als den zu sehen, der uns neues Leben bringt, und schließlich zu einer wahren Nachfolge aufzubrechen.
Es gibt Menschen, die bereits in ihrer Jugend diesen Glaubensweg beschreiten, für andere bedarf es eines ganzen Lebens der Schwäche und Irrwege, um von der Umnachtung doch zum Sehen zu gelangen.
Quelle: Luxemburger Wort