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Jahr C (2015-2016)  
16. Juli 2016

Grundauftrag

17.07.2016

Gen 18,1-10a und Lk 10, 38-42

Der jüdischstämmige Wiener Psychotherapeut und Philosoph Viktor Frankl gilt als der Begründer der Existenzanalyse und der Logotherapie. Für Frankl ist der Mensch ein Wesen auf der Suche nach Sinn. Gelingen und Misslingen, seelisches Wohlergehen oder Leid sind eng daran gekoppelt.

Es ist genau das Thema der Lesung aus dem Kolosserbrief, das im 1. Kapitel, in den Versen 26 und 27 ausgedrückt wird: „Jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war. Jetzt wurde es seinen Heiligen offenbart; 27 Gott wollte ihnen zeigen, wie reich und herrlich dieses Geheimnis unter den Völkern ist: Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit.“ Die „Hoffnung auf Herrlichkeit“.

Dechiffriert könnte das für uns heute heißen: Hoffnung auf die Erfahrung bedingungsloser Liebe, gelingendes Leben, seelische und körperliche Gesundheit, Heimat, Sicherheit im ganzheitlichen Sinn, Solidarität und vielleicht noch eine Hoffnung, die über den Tod hinaus trägt. Ein tragendes Fundament des Lebens, das mir Halt, Heilung, Orientierung und Schutz bieten kann. Im Allgemeinen sind Christen mit den Menschen unserer Tage unterwegs, um immer wieder neu das Fundament zu suchen. Auch wenn uns grundlegend glaubwürdige, richtungsweisende und kraftvolle Dokumente über den christlichen Weg der Menschen mit Gott und über das Wesen unseres Gottes in der Bibel vorliegen, sind wir dennoch nicht entbunden, Gott immer wieder neu zu suchen. Herz, Sinne und Verstand – alle unsere Antennen, immer neu auf Empfang und Begegnung mit ihm auszurichten.

Wenn ich immer wieder an einzelnen Erfahrungen und Bildern dieses Gottes hängenbleibe, ist es ab einem gewissen Moment Götzendienst. Unser Gott will immer wieder neu entdeckt werden, bis zu unserem individuellen letzten Atemzug. Er liebt die Menschen und seine Schöpfung. Gott sucht immer wieder die Intimität mit dir und mir und will mit seiner einfachen, jedoch oft furchterregend einfachen Liebe bis in unseren letzten Winkel des Herzens vordringen, erfüllen, heilen, froh und lächelnd machen. Er lässt sich nie festhalten und einfangen. In seiner Menschwerdung hat der christliche Gott die Grenzen von Sakralem und Profanem endgültig aufgehoben. Gott will im Alltag, in der Begegnung von Mensch zu Mensch gefunden werden. Aus diesem Grund ist die sozusagen fast sakrale Hochachtung vor jedem einzelnen Menschen in der Jüdischen Spiritualität zu erklären. Die Begegnung mit Menschen ist immer auch Gottesbegegnung.

Vor diesem Hintergrund kann auch die bekannte alttestamentliche Geschichte von Abraham an der Eiche vom Mamre gelesen werden. Abraham kannte die Fremden nicht, die in der Mittagshitze vor seinem Zelt vorbeikamen. Aber er wollte sie nicht weiterziehen lassen, ohne ihnen Gutes zu tun. Abrahams Gastlichkeit und das göttliche Verheißungswort am Schluss sind die Schwerpunkte dieser Erzählung. Gott kam zu Abraham unerwartet, unauffällig. Abraham nahm ihn als fremden Gast auf und wurde sein Freund.

Im Evangelium begegnen wird der quasi „kontemplativen“ Maria, die in der Anwesenheit Jesu, alles Stehen und Liegen lässt, um sich Zeit für Jesus und damit für Gott zu nehmen. „Kontemplativ“ könnte erklärt werden mit „Kultivierung der Erfahrung und Begegnung mit dem Göttlichen“ zum Wohle meiner Selbst und aller Menschen. Unser christlicher Grundauftrag könnte mit „Kampf und Kontemplation“ zusammengefasst werden, wie es der Taizé-Gründer Roger Schutz in einer seiner Schriften treffend benennt.

Karsten STEIL-WILKE
karsten.steil@cathol.lu
 
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