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Bicher-Rezensiounen . Recensions de livres  
26. Juni 2019

Ermes Ronchi: Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis

Religiöses Buch des Monats Juli 2019

Nur jeder fünfte Deutsche betet regelmäßig. Fast die Hälfte der Deutschen betet nie. So geben es jedenfalls die von Meinungsforschern Befragten selbst an. Der italienische Ordensmann Ermes Ronchi würde diese Aussagen aber wohl anzweifeln. „Beten ist menschlich“ heißt sein neues Buch, und tatsächlich hält er das Beten nicht nur für einen bewussten Akt religiöser Menschen, sondern für einen Grundvollzug des Menschseins überhaupt: „Beten ist der mehr oder weniger ‚ausdrückliche‘ Wunsch, jemand möge das Verlangen, das dem Leben innewohnt, stillen“. Das soll nun aber keine erschöpfende Definition des Betens sein – Beten ist nach Ronchis Überzeugung etwas derart „Umfassendes und Komplexes, dass eine systematische Abhandlung unmöglich ist“. Sein Buch erzählt vielmehr von der Erfahrung, die Menschen mit dem Beten seit Jahrtausenden gemacht haben – nicht zuletzt natürlich Jesus selbst, der immer wieder zum Gebet auffordert und in zahlreichen Gleichnissen darüber spricht.

Ronchi betrachtet ausführlich die Psalmen, das große Gebetbuch für Juden und Christen, er untersucht die verschiedenen Gebetsformen, von denen der Apostel Paulus schreibt, und die beiden großen Gebete des Evangeliums, Marias „Magnificat“ und den Lobgesang des Zacharias. Er stellt fest, dass einige Dimensionen des Betens immer wiederkehren, sei es einzeln oder auch gleichzeitig. Zunächst ist da das Bitten aus einer reinen Bedürftigkeit heraus: für uns selbst in unseren konkreten Nöten, aber auch für Angehörige und Freunde oder für alle Kranken und Not-Leidenden. Es gibt aber auch ein tieferes sehnsüchtiges Verlangen: nach Liebe, Vergebung, Einheit, Frieden, nach allem was gut ist. Für Christen ist da natürlich auch der Wunsch nach Begegnung und Zusammensein mit dem persönlichen Gott, der sich uns in der Schrift und vor allem in seinem Sohn Jesus Christus geoffenbart hat. Und schließlich gibt es auch das Beten aus Dankbarkeit, das sich in Lobpreis und Anbetung äußert.

Soll man im Gebet überhaupt bitten?

Ronchi spart auch die großen Fragen, die sich beim Thema Beten stellen, nicht aus: Soll man im Gebet überhaupt bitten? Einerseits sagt Jesus doch, wir sollen nicht viele Worte machen – unser himmlischer Vater wisse schließlich schon, was wir brauchen. Andererseits enthält dann gerade das Vaterunser sieben Bitten. Für Ermes Ronchi kein Widerspruch: Jesus lehrt uns damit nämlich, vor allem um das Wesentliche zu bitten – sehr oft bitten wir in unseren Gebeten nämlich um viel zu wenig. Und was ist, wenn unsere Bitten nicht erhört werden? Ronchi antwortet auch hier auf überraschende Weise und meint, wir sollten zunächst einmal die Frage umdrehen: Hören wir denn Gottes Bitten? Letztlich geht es beim Beten vor allem um Vertrauen: Wir dürfen Gott um alles bitten, auch um konkrete Dinge, wir sollen es sogar tun, gleichzeitig sollen wir aber darauf vertrauen, dass Gott auch dann seine Verheißungen erfüllt, wenn er unsere konkreten Bitten nicht erhört.

Und wir sollten bedenken, dass es für uns durchaus auch wertvoll sein kann, wenn nicht alle Bitten erhört werden: Gerade durch das Ausbleiben ihrer Erfüllung sorgen sie dafür, dass wir uns offenhalten für mehr, für etwas, das uns übersteigt, für Gott. Wem alle Wünsche erfüllt werden, der läuft dagegen Gefahr, hinter den einzelnen Gaben den Geber zu vergessen, der doch das Wichtigste und das Einzige ist, was wirklich dauerhaft Erfüllung zu geben vermag.

Ermes Ronchi geht davon aus, dass Beten nicht nur etwas für die besonders Frommen ist, sondern ein Grundbedürfnis aller Menschen – und so richten sich auch seine Betrachtungen zum Gebet wirklich an alle, die mit Gott ins Gespräch kommen wollen. Wer sich noch kaum mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wird überrascht sein, wie vielschichtig es sich hier präsentiert. Aber auch wer sich schon lange mit dem Thema Beten beschäftigt, wird hier noch Neues und Überraschendes finden.

Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der Sankt Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.

Ermes Ronchi: Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis. München: Verlag Neue Stadt, 2019. – 231 S.; 20,00 Euro.

 
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