lb fr pt en de
Hellege Willibrord . Saint Willibrord  
5. November 2007

Willibrord, ein Heiliger für unsere Zeit, ein Heiliger für Europa

Generalvikar Mathias Schiltz zum 1350. Geburtsjahr des Echternacher Heiligen

„Die Heiligen sind wie ein Geläute. Jede Glocke hat ihren Klang, aber erst alle zusammen geben die ganze Tonfülle. Auf diese Musik der Ewigkeit muss man hören in einer Zeit, da die Menschen sich vom Evangelium immer offenkundiger abwenden. In dieser Nacht der Selbstzersetzung des Abendlandes wird das Christentum der Heiligen jenes Licht bedeuten, das dem Einzelnen auf seinem Weg voranleuchtet und in ihm wieder jenes unstillbare Lechzen nach neuer Heiligkeit weckt …“ (Walter Nigg) [1].

„Jede Glocke hat ihren Klang …“. Wie mag wohl die Willibrordusglocke heute klingen? Was ist ihr Ton? Was ist die Botschaft des großen Echternacher Heiligen für unsere Tage? Hat er unserer Zeit, hinweg über den Abstand von dreizehn Jahrhunderten, in denen Europa und die Welt weit mehr als eine kopernikanische Wende erlebt haben, überhaupt noch etwas zu bedeuten und zu sagen? Diese Fragen dürften an der Schwelle des großen Jubiläums zum 1350. Geburtsjahr des Heiligen nicht unberechtigt sein. Ist Willibrord tatsächlich, wie es der Erzbischof von Luxemburg in seinem Aufruf zum Jubiläumsjahr betont, ein Heiliger für unsere Zeit, ein Heiliger für Europa?

Zunächst müssen wir uns fragen: Wer war der heilige Willibrord in seiner Zeit? Wo liegt das Geheimnis der Anziehungs- und Ausstrahlungskraft, die der angelsächsische Mönch und Missionar auf die Menschen seiner Tage ausübte? In seiner „Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher Betrachtung“ schreibt Professor Joseph Lortz im Kapitel über die Germanenmission: „Als ein Hauptmittel der Verbreitung der Christlichen Wahrheit wirkt zu allen Zeiten der christliche Persönlichkeitswert des Missionars“ [2]. In dieser Aussage, die ohne Zweifel auch auf den heiligen Willibrord zutrifft, bestätigt sich die Tatsache, dass der christliche Glaube nicht an erster Stelle ein theoretisches Lehrgebäude ist, sondern zunächst die lebendige Beziehung des Vertrauens in eine Person, die uns in ihren Bann zieht und in ihre Nachfolge ruft. Diese Person ist Jesus Christus, der Mensch gewordene Sohn Gottes, der gekreuzigte und auferstandene Herr. In ihm hat das Christentum ein Gesicht: es ist das Antlitz Jesu, auf dem die Herrlichkeit des Vaters aufleuchtet. Und immer wieder erstrahlt dieses Antlitz auf den Gesichtern konkreter Menschen, die von diesem Jesus innerlich ergriffen und erleuchtet sind.

Ein solcher Mensch war Willibrord, dem Papst Sergius bei seiner Bischofsweihe den Beinamen Clemens, der Gütige, verliehen hat. Ohne Zweifel hatte diese Verleihung eines vornehmen römischen Namens zunächst eine kirchenpolitische Bedeutung: Willibrord wurde dadurch sozusagen in die päpstliche Familie aufgenommen [3]. Doch dürfte die Namenswahl wohl auch dem inneren Wesen des Heiligen entsprochen haben.

Ein Heiliger für unsere Zeit

Willibrord Clemens, der Gütige!

Ist das nicht eine außerordentlich aktuelle Botschaft für unsere Zeit, in der Rücksichtslosigkeit und rohe Gewalt bis in die Schulhöfe hinein Überhand gewinnen und die internationalen Beziehungen zunehmend von blutigem Terrorismus geprägt sind? Auch die Zeit des heiligen Willibrord und die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er den Christusglauben verkündete, waren von rohen Sitten alles andere als frei. Doch inmitten dieser „verwirrten und verdorbenen Generation“ (vgl. Phil 2,15) leuchtete Willibrord auf als eine Ikone der „Menschenfreundlichkeit und Güte Gottes, unseres Retters“ (Tit 3,4), die in Christus Jesus erschienen ist.

Von dieser Güte war nicht nur das innere Wesen und sicherlich auch die äußere Gestalt sowie der tägliche Umgang des Heiligen geprägt, sie überstrahlte auch sein missionarisches Wirken. Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass es im Missionswirken Willibrords keine Zwangsbekehrungen gegeben hat, wenngleich es im Sinn des feudalen Gefolgschaftsgedankens zu Kollektivübertritten gekommen sein mag, denen freilich mehr als einmal eingehendere Überlegungen für und wider auf dem Thing vorausgingen. So bleibt es wahr, dass die persönliche Ausstrahlung der Güte des heiligen Willibrord der eigentliche Schlüssel zu seinem erfolgreichen missionarischen Wirken ist.

Diese Güte mögen auch wir uns zum Vorbild nehmen und sie in Wort und Tat bezeugen: in der Familie, in der Schule, auf dem Arbeitsplatz, nicht zuletzt auch im Straßenverkehr, wo sich immer mehr Aggressivität und Dreistigkeit breit machen. Immer und überall sollen wir die Weisung des Apostels beherzigen: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld“ (Kol 3,12). So möge Willibrord, der Gütige, in uns Gestalt annehmen.

Denn „es gibt Zeiten, in denen Reden und Schriften nicht mehr ausreichen, um die notwendige Wahrheit gemeinverständlich zu machen. In solchen Zeiten müssen Taten und Leiden der Heiligen ein neues Alphabet schaffen, um das Geheimnis der Wahrheit neu zu enthüllen. Unsere Gegenwart ist eine solche Zeit“ [4].

Willibrord, ein glücklicher Mensch

Fragen wir nun, wo die Quellen der Güte und Menschenfreundlichkeit eines heiligen Willibrord liegen, so gibt es nur eine Antwort: in seiner tiefen Verwurzelung im Glauben, in seiner innigen, vitalen Christusbeziehung. Willibrord war zugleich Mönch und Missionar. Entsprechend der Devise des Benediktinerordens „Ora et labora“ schöpfte er die innere Kraft für die mühsame Missionsarbeit im Gebet. Seine Gründung in Echternach war geradezu der Hort, wo er sich in Stille zurückzog, um neu gestärkt zu weiteren Horizonten aufzubrechen. In dem inneren Glück, das ihm daraus erwachsen ist, dass er sich von Gott geliebt und für Zeit und Ewigkeit in ihm geborgen wusste, hatten seine Güte und Milde ihre tiefste Wurzel. Willibrord war in der Tat ein glücklicher Mensch. Noch mit 70 Jahren konnte er an den Rand der Novemberseite seines Kalendars den Leitspruch eintragen: „In Dei nomine – feliciter“, „Im Namen Gottes, glücklich voran“. Auch als heiterer, wahrhaft glücklicher Mensch hat Willibrord den Menschen unserer Zeit Bedeutsames zu sagen.

Denn das allen Menschen angeborene Streben nach Glück hat in unseren Tagen frenetische Ausmaße angenommen und läuft Gefahr in einer ausweglosen Sackgasse zu enden. Alles und alles sofort, so lautet die Losung. Müssen wir, wenn wir ehrlich sind, nicht zugeben, dass wir alle vom Taumel des Konsums und seinen Irrungen erfasst sind, auch wir Christen?

Von Blaise Pascal, dem großen französischen Denker stammt das Wort: “Alle Menschen suchen glücklich zu werden, selbst derjenige, der hingeht, sich zu erhängen”. Entscheidend ist demnach, wo wir unser Glück suchen. Wo liegt das Glück unserer Zukunft? Als Willibrord die Worte „In Dei nomine feliciter“ in sein Kalendar eintrug, war er wohl noch rüstig, aber bei der durchschnittlichen Lebenserwartung jener Zeit konnte er sich kaum eine bedeutende Verlängerung seiner eigenen irdischen Existenz ausmalen. Die Zukunft, nach der Willibrord in den düsteren Novembertagen des Jahres 728 ausblickte, war an erster Stelle gewiss nicht sein Weiterleben auf dieser Erde. Es war vielmehr, in noch unklaren Umrissen erschaut, das Wachsen und Gedeihen seines Erbes, seiner Echternacher Stiftung, seines missionarischen Lebenswerkes, dessen Früchte er in jenen Jahren reifen sah. Vor allem aber ist die Zukunft, die sich ihm in jener Stunde im Glauben eröffnet, Gottes Ewigkeit, die Erfüllung und Vollendung in seinem Reich, das “Für immer beim Herrn sein” (1 Th 4,17), nach dem er sich mit der ganzen Kraft seines Herzens sehnt.

Ist es nicht ein leuchtendes Beispiel christlicher Einstellung zum Glück, das uns Willibrord auf der Höhe seines Alters gibt? Nicht das eigene Leben steht im Mittelpunkt seiner Erwartungen und seines Strebens, sondern das Lebenswerk, dem er sich verschrieben hat. Nicht der äußere Mensch, sondern der innere, denn auf vierzig Jahre Missionstätigkeit zurückblickend, darf er mit Paulus sprechen: “Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert” (2 Kor 4,16).

*

Noch viele andere Eigenschaften und Dimensionen des Echternacher Heiligen, nicht zuletzt die Gestalt des guten Hirten, die er eindrucksvoll verkörperte, wären zu erläutern und für unsere Zeit fruchtbar zu machen. Dies wird im Lauf des Gedenkjahres sicherlich geschehen. Für heute muss es genügen, noch kurz auf die europäische Bedeutung Willibrords einzugehen.

Ein Heiliger für Europa

Ein Heiliger von europäischem Format

Das europäische Format des Heiligen Willibrord bedarf keiner neuen Beweise. Es ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder beschworen worden, vornehmlich durch Professor Georges Kiesel, den großen Herold des Echternacher Heiligen. Europäisch ist der heilige Willibrord durch seinen Wirkungskreis der sich von Schelde und Maas bis nach Dänemark und Thüringen erstreckt und so weite Landstriche des heutigen West- und Mitteleuropas abdeckt. Europäisch ist er durch die heutige Verbreitung seiner Verehrung, die neben den genannten Gegenden auch England und Irland umfasst und zunehmend ökumenische Züge annimmt. Für Europa ist der große Apostel in seiner Wirkungsgeschichte aber besonders insofern hoch bedeutsam, als er durch seine missionarische Tätigkeit, sei es durch die Festigung und Läuterung der bereits vorhandenen christlichen Wurzeln, sei es durch die Gewinnung neuer Volksstämme für den christlichen Glauben, mit dazu beigetragen hat, ein wesentliches Fundament für die Einigung des Kontinents [5] zu legen.

Ein Wegbereiter der Einheit Europas – Ein Vorreiter eines weltoffenen Christentums

In dieser Hinsicht hat Willibrord nicht zuletzt durch seine neue Missionsmethode, die G. Kiesel vor dreißig Jahren die via moderna genannt hat [6], Entscheidendes bewirkt. Im Unterschied zu den iro-schottischen Mönchen, die vor ihm auf dem Kontinent als Wandermissionare tätig waren, hat er sich stets um die Festigung und Strukturierung der von ihm gegründeten Gemeinden und Kirchen bemüht. Aus diesem Grund hat er den Kontakt mit Rom und die Unterstützung durch den Papst gesucht. Aus demselben Grund suchte er die Annährung an die fränkischen Hausmeier. Mit deren Hilfe hat er seine Gründungen nicht nur materiell abgesichert. Indem er ihnen Unabhängigkeit, Kontur und festen Bestand garantierte, legte er den Grund zu dem für das kulturelle Zusammenwachsen des Kontinents so maßgeblichen kirchlichen Netzwerk. Und gleichzeitig wurzelte er das Christentum tief ein in den Humus des gesellschaftlichen Gefüges seiner Zeit.

Denn für Willibrord war Religion keineswegs Privatsache, wie manche heute irrtümlich [7] meinen, sondern eine prägende Kraft, die das ganze sowohl private wie gemeinschaftliche Leben der Menschen betrifft. In dieser Hinsicht kann man in Willibrord geradezu einen Vorreiter eines weltoffenen Christentums sehen und gewissermaßen auch einen Pionier eines gesunden, für beide Seiten ersprießlichen Verhältnisses von Staat und Kirche im Rahmen der Gesamtgesellschaft, wie es heute in den meisten europäischen Ländern Geltung hat und auch von der Europäischen Union angestrebt wird [8]. So heißt es im Vertragsentwurf zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Reformvertrag), Art. 18b: „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“ – „Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“

Im letzten Absatz dieses Artikels wird ausdrücklich anerkannt, dass das Christentum für Europa nicht nur ein Erbe der Vergangenheit darstellt. Es hat einen besonderen Beitrag zu leisten, weil es ein außerordentlich aktuelles Potential an Werten und Impulsen für heute birgt. Eine derartige Anerkennung ist demzufolge nicht nur eine Zusage, die wir dankbar entgegennehmen; sie ist für uns Christen vor allem Auftrag und Verpflichtung, dieses Potential lebendig zu erhalten und es in der Gesellschaft unserer Tage fruchtbar werden zu lassen.

Möge uns dies auf den Spuren des heiligen Willibrord gelingen. Wir sind es den Menschen von heute schuldig, „damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

[1Walter Nigg, Große Heilige, Zürich u. München 198110, S. 32.

[2Joseph Lortz, Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher Betrachtung, Bd. I., Münster Westfalen 196221, S. 199.

[3Vgl. Joseph Lortz, a.a.O. S. 219.

[4Michael Baumgarten, Ein aus 45jähriger Erfahrung geschöpfter Beitrag zur Kirchenfrage, (ed. Stud) 1891, Bd. I, Titelblatt (zitiert in: Walter Nigg, a.a.O., S. 32).

[5Diese einigende Kraft des christlichen Glaubens hat kürzlich der Präsident der Europäischen Kommission öffentlich gewürdigt: „In der Geschichte dieser [europäischen] Zivilisation waren das Christentum und seine verschiedenen Konfessionen eine einigende Kraft, die eine Integration der unterschiedlichen Beiträge der u. a. keltischen, germanischen und slawischen Völker so wie auch den nicht unerheblichen Beitrag der islamischen Kultur ermöglichte“ (José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission: „Die versöhnte Vielfalt in einem vereinten Europa“. Rede vor dem Plenum der 3. Europäischen Ökumenischen Versammlung, Sibiu, Rumänien, 6.9.2007).

[6Georges Kiesel, Der Heilige, der auch morgen bleibt. Zum Festtag des hl. Willibrord 1977 (Luxemburger Wort, 5. November 1977).

[7Richtig an dem Slogan „Religion ist Privatsache“ ist, dass Religion eine höchst persönliche, also in diesem Sinn private, intime Entscheidung ist, genau wie die freie Berufs- oder Standeswahl. Doch es ist ein ausgewiesener Trugschluss, daraus zu folgern. dass Religion (bzw. Beruf oder Stand) in die Privatsphäre verbannt werden sollen und in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben.

[8Vgl. José Manuel Barroso, a.a.O., „ Die Europäische Kommission hat dem Engagement der christlichen Kirchen und vor allem der Konferenz Europäischer Kirchen immer grosse Aufmerksamkeit geschenkt, die das grosse Abenteuer des Aufbaus von Europa von Anfang an begleitet und ermutigt hat. Die Europäische Kommission hat immer einen fruchtbaren Dialog mit all diesen Kirchen unterhalten.“ … „ Der Sinn meiner Anwesenheit hier, um über die Zukunft der Europäischen Union zu sprechen, ist auch mit dem besonderen Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften verbunden, der im Reformvertrag ausdrücklich anerkannt wird.“

Mathias SCHILTZ
mathias.schiltz@cathol.lu
 
Ä e r z b i s t u m    L ë t z e b u e r g   .   A r c h e v ê c h é   d e   L u x e m b o u r g    .   
YouTube
SoundCloud
Twitter
Instagram
Facebook
Flickr
Service Kommunikatioun a Press . Service Communication et Presse
Äerzbistum Lëtzebuerg . Archevêché de Luxembourg

© Verschidde Rechter reservéiert . Certains droits réservés
Dateschutz . Protection des données
Ëmweltschutz . Protection de l'environnement
5 avenue Marie-Thérèse
Bâtiment H, 1er Étage
L-2132 Luxembourg
+352 44 74 34 01
com@cathol.lu