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Jahr B (2017-2018)  
31. Oktober 2018

Den Verstorbenen eine Stimme leihen

Der Kommentar zu Allerheiligen/Allerseelen und Auswege durch die Trauer von Winfried Heidrich (1.11.2018)

Neben Freude, Wut, Liebe, Angst oder Scham, gehört Trauer zu den großen menschlichen Gefühlen. Dabei ist die Trauer immer noch für viele Menschen ein gefürchtetes Gefühl, macht es sie doch sprachlos und somit oft zwangsläufig einsam. Wer, der einen Verlust erlitten hat, kennt dies nicht: Die Welt um uns geht ihren Geschäften nach und verabredet sich am Abend, und wir hocken isoliert in der Zelle unserer Trauer. Hört die denn nie auf?

Doch so ähnlich wie nach über 30 Jahren Partnerschaft das Gefühl der Liebe aus vermeintlicher Überdehnung nicht gerissen sein muss („Was! Du liebst sie immer noch?“), wird die Trauer um einen Menschen, den man verloren hat, nicht einfach aufhören. Sie wird sich im Laufe der Zeit hoffentlich ändern, wenn wir ihr Raum und Zeit geben sowie für sie Kontakt zu hilfreichen Menschen zulassen.

Der amerikanische Trauerforscher William Worden beschreibt die letzte von vier wesentlichen Traueraufgaben wie folgt: „Dem Toten einen Platz im eigenen Leben geben und sich dann wieder dem Leben mit anderen zuwenden.“ Der Weg in die Trauer hinein, durch die Trauer hindurch und wieder heraus in eine veränderte Welt ist bei jedem Menschen unterschiedlich lang und tief. Trauer ist keine Krankheit, selbst wenn sie sich so anfühlt. Trauer, heftiger zu Beginn eines Verlustes, mag als Gefühl der Verbundenheit und Treue zu einem geliebten Menschen bleiben, doch die Isolation in Einsamkeit möge überwunden werden. Das will Worden mit seinem Satz sagen. Hier hilft das Fest Allerseelen.

Wenn wir unsere Toten auf den Friedhöfen zu Allerheiligen und Allerseelen besuchen, geben wir der Trauer um die Verstorbenen einen begehbaren Ort und eine konkrete Zeit.

Wir geben der Trauer einen Rahmen, den wir mit anderen, oft völlig fremden Menschen gestalten oder gar teilen. Bei der Grabpflege teilen wir mit dem Nachbarn am Grab nebenan die Gießkanne, einem auf dem Friedhof quasi liturgischen Gerät. Oder wir hantieren mit der Schaufel, mit der wir äußerlich die Erde ordnen und innerlich uns selber. Kommen wir dabei mit anderen ins Gespräch oder auch nicht, zumindest nehmen wir wahr, nicht die einzigen Hinterbliebenen auf dieser Welt zu sein. Erleben eingebunden zu sein in etwas größeres Ganzes. Ist das nicht tröstlich?

Der Friedhof mit seiner spirituellen Diesseitigkeit ist ein sozialer Ort, der uns Besucher, im Unterschied zu Stadion, Spital oder Sauna, wahrlich zu Gleichen macht. An diesem Ort sind wir lebendig Sterbliche, begegnen wir doch auf dem Friedhof der eigenen Endlichkeit, die uns in eine demütige Unruhe versetzt. Wir blicken auf glänzende Grabsteine wie in Spiegel: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1 Kor 13,12)

Ohne Worte ist die berühmte friedhöfliche Ruhe beredter und tiefer als gelernte Antworten auf religiöse Fragen. Beim Gehen über den Friedhof, beim Segnen der Gräber, in den Gebeten während der Gottesdienste, später beim Beisammensein mit Verwandten und Freunden, wo wir zu Tische sitzen mit den abwesenden Toten sind wir auf gesellige Art religiös. „Haben Sie Freunde unter den Toten?“ hat Max Frisch einmal gefragt. Wenn wir an unsere Verstorbenen denken, verleihen wir ihnen eine Stimme oder sprechen diese zu uns?

Quelle: Luxemburger Wort

Winfried HEIDRICH
 
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