Kirchen und Religion in Luxemburg
Die vom christlich-römischen Trier ausgehende Christianisierung erfasste das Territorium Luxemburgs ab dem 4. Jh. und ersetzte die heidnische Glaubenswelt progressiv. Im 6.-7. Jh. entstanden im Zuge christlicher Konsolidierung ausgedehnte Mutterpfarreien, die später aufgeteilt wurden und nach und nach das heutige Pfarreisystem ergaben. Bei dieser zweiten Evangelisierungswelle erhielt Echternach große Bedeutung. Es diente als Stützpunkt für die Friesenmission des aus England stammenden Mönchs und Bischofs Willibrord (658-739). Dieser gründete ein Kloster, das zur ansehnlichen Benediktinerabtei mit reger kultureller Ausstrahlung heranwuchs. Die Echternacher Basilika birgt bis heute die Gebeine des als Landesheiligen bes. bei der alljährlichen Springprozession verehrten Angelsachsen.
Im mittelalterlichen Luxemburg siedelten sich die großen Mönchs- und Ordensfamilien an: Benediktiner (Echternach, Münster/Luxemburg, St. Hubert) und Zisterzienser (Orval, Clairefontaine), gefolgt von Franziskanern, Dominikanern, Klarissen, Augustinerchorfrauen usw. Sie hatten einen prägenden Einfluss auf Seelsorge, Spiritualität und Kultur. Von der Reformation wurde Luxemburg durch das Wirken der seit 1594 hier tätigen Jesuiten kaum berührt. Sie förderten den Kult der „Trösterin der Betrübten“, die in Zeiten von Pest und Krieg als Patronin der Stadt (1666) und des Herzogtums Luxemburg (1678) erwählt wurde. Diese Andacht bleibt heute lebendig durch eine nationale Wallfahrt, die „Oktave“, die jedes Jahr während zwei Wochen in der Zeit nach Ostern gefeiert wird. Nach der Auflösung z. Z. der Französischen Revolution und neuen Ordensgründungen bzw. -niederlassungen im 19. und beginnenden 20. Jh., ist das Kongregationswesen heute im Sozial- und Erziehungssektor sowie im pastoralen und kontemplativen Bereich präsent: Elisabetherinnen und Franziskanerinnen, Schwestern von der christlichen Lehre, vom Armen Kind Jesus, Tertiarkarmelitinnen, Benediktinerinnen der ewigen Anbetung; Redemptoristen, Barmherzige Brüder, Herz-Jesu-Priester, Benediktiner in Clerf usw. Deren Weiterbestehen wird durch fehlende Berufungen in Frage gestellt, doch sind ihre Werke durch neue Trägergesellschaften, so die sozial-karitativen innerhalb der diözesanen Caritas-Konföderation, für die Zukunft abgesichert.
Seit dem Mittelalter unter mehrere Bistümer aufgeteilt (vorwiegend Trier und Lüttich), kam Luxemburg durch das Konkordat Bonapartes 1801 zum Bistum Metz. 1823 wurde es der niederländischen Diözese Namür einverleibt und 1840, nach erheblicher Verkleinerung des Landes durch Abtrennung der belgischen Provinz Luxemburg, ein von Rom abhängiges Apostolisches Vikariat. Der Ap. Vikar Jean-Théodore Laurent (1841-48) schuf durch Ordens- und Schulgesetzgebung, durch neue Pfarrei- und Dekanatsstrukturen sowie durch Errichten des Priesterseminars die Voraussetzungen für eine eigenständige Diözese. Zu deren Gründung kam es jedoch erst 1870. Von Papst Johannes Paul II. wurde sie 1988 zur Erzdiözese erhoben. 8 Episkopate füllen die Zeit der selbständigen Luxemburger Ortskirche: Nicolas Adames (1870-1883), Jean-Joseph Koppes (1983-1918), Pierre Nommesch (1920-1935), Joseph Philippe (1935-1956), Léon Lommel (1956-1971), Jean Hengen (1971-1991), Fernand Franck (1991-2011) und Jean-Claude Hollerich (seit 2011).
Im Staat Luxemburg spielte die Kirche als religiös-weltanschauliche Einheitsklammer eine Werte stiftende und patriotische Rolle, bes. während des Zweiten Weltkriegs. In der Zeit moderner Säkularisierung verliert sich ihre fast ausschließliche Prägungskraft, doch bleibt der Katholizismus, trotz Abnahme der religiösen Praxis, eine starke Komponente im bestehenden Meinungspluralismus. Seit dem 19. Jh. und jüngst durch die Bedeutung Luxemburgs als Sitz wichtiger EU-Behörden bedingt, haben, neben einer kleineren jüdischen Gemeinde, weitere christliche Kirchen als minoritäre Gruppierungen Fuß gefasst: Protestanten, Anglikaner, Orthodoxe verschiedener Zuordnung, seit dem Balkan-Krieg ebenfalls eine ansehnliche islamische Minderheit.
Das Verhältnis Staat-Kirche ist im Sinne gegenseitig anerkannter Autonomie und Formen von Kooperation durch die luxemburgische Verfassung, mehrere Gesetze sowie eine Reihe Konventionen geregelt. Eine Zusammenarbeit im sozial-karitativen Bereich und im Erziehungssektor (katholischer Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, Mitfinanzierung von Privatschulen) ist Bestandteil dieses Systems. Die Kultusdiener der hauptsächlichen christlichen Kirchen sowie der jüdischen Kommunität werden von Rechts wegen durch den Staat besoldet.
Die nach wie vor mehrheitlich vertretene katholische Kirche suchte sich in der Linie des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) den modernen Anforderungen durch die IV. Luxemburger Diözesansynode zu stellen. Diese bemühte sich 1972-81, Kirche und Katholizismus im Sinne von Dialog und Öffnung zur Welt neu in der heutigen Kultur zu positionieren. Dazu gehören sowohl die Konkretisierung der zunehmenden europäischen Berufung und der aktive Bezug zu vielen übernationalen kirchlichen Instanzen als auch innerkirchliche Erneuerungsbestrebungen und pastorale Initiativen. Die Ökumene zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen wird greifbar auf der Ebene des 1997 geschaffenen Rates christlicher Kirchen in Luxemburg.
Georges HELLINGHAUSEN